Aufruf zur revolutionären 1.Mai-Demo in Berlin
Die Herrschenden hielten sich wahrscheinlich für sehr schlau, als sie letztes Jahr zu Beginn der Pandemie versuchten, den Begriff Solidarität zu erbeuten.
Abstand halten sollen wir. Uns isolieren. An die Alten und Kranken denken, die überarbeiteten Pflegekräfte nicht noch weiter belasten. Ja, auf einander achten und Menschenleben nicht leichtfertig aufs Spiel setzen ist wichtig. Was sie jedoch verschweigen ist, dass sie diejenigen sind, die, die die Bedingungen der Unmenschlichkeit erst geschaffen, das Gesundheitssystem kaputt gespart, Lohndumping ermöglicht und Privatisierung vorangetrieben haben. Sie sind es, die Profitinteressen über Gesundheitsschutz und Existenzsicherung der vielen stellen. Sie sind diejenigen, die von unserer Arbeitslosigkeit profitieren und uns dann bei jedem Gang ins Jobcenter erniedrigen.
Und dann versuchen sie uns ihre dürftigen Maßnahmen, als Solidarität zu verkaufen. Sie predigen die individuelle Verantwortung jedes Einzelnen – vertreten dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Interessen der Konzerne, nie aber unsere und stellen mit ihren Schlägertrupps von Polizei sicher, dass die Ordnung des Geldes und des Eigentums aufrechterhalten wird. Denn seit Beginn der Pandemie hat sich die herrschende Klasse durch eine Vielzahl von Verordnungen und erteilten neuen Machtbefugnissen an Polizei und Grenzschutz eine willkürliche Ruhe und einen Zustand der dauerhaften Überwachung geschaffen, um Kontrolle, Verschaerfung und Gewalt europaweit auszubauen.
Da wo ihr System, der Kapitalismus, scheitert, sollen wir uns weiter voneinander isolieren, wir sollen unsere Jobs verlieren, aber unsere Mieten zahlen; andere sollen Überstunden leisten, auf Löhne verzichten und ihre Gesundheit ruinieren; wir sollen warten, monatelang, für ein bisschen Geld, das uns nach siebzig Jahren schuften in Almanya doch eigentlich zustehen sollte. Wir sollen sterben, damit sie nicht in die Verantwortung gezogen werden. Denn eigentlich sollen wir nicht solidarisch sein, sondern im Angesicht ihrer Gewalt, die sich nicht erst seit der Corona-Pandemie zeigt, aber jetzt noch schlechter als je verhüllen lässt, die Augen verschließen. Das werden wir nicht tun.
Dass die Herrschenden hier in ihren Villen im Grunewald und ihren 240qm-Lofts in Mitte, ihr liberales Scheißleben führen und jetzt von Verantwortung reden können, ist nur möglich wegen der Überausbeutung der Arbeiter*innen, vor allem der Arbeitskraft der Frauen im globalen Süden und migrantischer Frauen hier im imperialistischen Zentrum. Egal ob in der Industrie, in der Pflege oder in der Haushaltsarbeit: der Wohlstand Deutschlands und Westeuropas ist auf unserem Rücken – dem Rücken der Arbeiter*innen und Ausgebeuteten hier und weltweit – geschaffen.
Und lasst uns nicht vergessen – die Lofts, die heute nur von wenigen bewohnt werden können, waren einst Arbeiter*innenwohnung für viele. Was für eine morbide Realität, in der unsere Freund*innen für ihre Obdachlosigkeit kriminalisiert werden, wenn doch die Obdachlosigkeit von den Herrschenden geschaffen ist. Was für unhaltbare Zustände also, wenn von der Unmenschlichkeit der Gentrifizierung, der Obdachlosigkeit und der Zwangsräumungen überproportional unsere migrantischen Freund*innen betroffen sind.
Zu lange schon wird unsere Arbeitskraft ausgebeutet, unsere Stimmen ignoriert, unsere Communities ermordet. Zu lange wurden unsere Körper und unsere Existenzen kriminalisiert, um den Ausbeutungsapparat des Kapitalismus durch immer wieder neue Formen des Imperialismus aufrecht zu erhalten.
Dabei ist es unser Überleben und das Erbe unserer Kämpfe, die die Hoffnung auf eine bessere Welt aufrecht erhalten!
Und deshalb wissen wir auch, was Solidarität bedeutet; wem sie gehört! Wir laden euch ein, gemeinsam mit uns am 1. Mai ein Zeichen zu setzen und die Tradition der internationalen, revolutionären Kämpfe unserer Vorfahren und Vorgänger*innen fortzuführen!
Wir wissen, dass wir nur einander haben und dass das Fundament einer neuen Welt nur gemeinsam gelegt werden kann. Deshalb ist es an der Zeit zu kämpfen, Hand in Hand! Mit unseren Nachbar*innen, Geschwistern, Kindern, Onkels und Tanten, mit unseren migrantischen Genoss*innen und Freund*innen ganz vorne voran, deren Arbeitskraft es erst ist, die uns ermächtigt, den Kampf der Klassen zu führen.
Wir lassen uns nicht verkaufen, was uns schon immer gehört hat. Die einzigen, die sich fortan irgendetwas aneignen werden, das sind wir. Und wir holen uns zurück, was uns gehört! Unsere Solidarität zueinander, unsere Wohnungen, unsere Arbeitsplätze, unsere Gesellschaft, unsere Communities, unsere Straßen!
Weder unsere Solidarität, noch unsere Stadt werden wir erbeuten lassen! Gegen ihr System des Ausverkaufs unserer Häuser, werden wir uns mit echter, gelebter Solidarität in den Mietenkämpfen, in der entschädigungslosen Enteignung ihrer Immobilienfirmen stellen!
Kommt, damit wir am 1. Mai – dem Tag der internationalen Arbeiter*innenschaft – denen danken können, die durch das Werk ihrer Hände diese Welt geschaffen haben und die die Bedingungen für eine neue Welt möglich machen werden.
Kommt, damit wir die Solidarität der internationalen Arbeiter*innenklasse historisch in all unseren Sprachen laut werden lassen.
Lasst uns nicht vergessen: Der Applaus lässt uns das Tagewerk nicht leichter ertragen, der Jubel von Balkonen macht den Arbeitstag nicht kürzer. Um zu danken, müssen wir verändern!
Lasst uns unsere Communities – die migrantischen Communities in Berlin – nicht von ihrem Kampf entfremden. Lasst uns einen Ausdruck der Solidarität finden, der zum kämpfen mitreißt und erinnert an die historische Kontinuität migrantischer, diasporischer und internationaler Kämpfe der Arbeit. Lasst uns diejenigen ohne Papiere unter uns nicht vergessen, diejenigen unter uns mit kriminalisierten Körpern, und diejenigen unter uns, die immer nur eine Auseinandersetzung mit den Bullen davon entfernt sind, abgeschoben zu werden. Finden wir also neue Perspektiven des Protests, schützen wir uns gegenseitig, laden wir alle Passant*innen ein, sich in unsere Reihen einzufinden. Wir sind noch empfänglich für unsere Freund*innen, die in Not sind.
Denn wenn wir unsere Lage erkannt haben, wie sollen wir dann aufzuhalten sein?
Die Auftaktkundgebung wird am Hermannplatz in Neukölln um 17 Uhr beginnen. Die Demonstration startet dann pünktlich um 18 Uhr über Karl-Marx-Straße und Sonnenallee nach Kreuzberg zum Oranienplatz.
Bündnis Revolutionärer 1. Mai Berlin
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